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10.10.2025 - Urteil des Bundesverwaltungsgerichts: Windpark braucht trotz WindBG eine echte Naturverträglichkeitsprüfung

Mit einem Urteil vom 11. September 2025 (Az. 7 C 10.24) hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Rechte von Natur und Artenschutz gegenüber der Windenergie deutlich gestärkt. Besonders spannend: Die Entscheidung passt sehr genau auf die Situation des geplanten Windenergiegebiets MEC_03 bei Mechernich – und stellt die vermeintliche „Freifahrtschein-Regel“ des § 6 WindBG in Frage.


Wir fassen zusammen, was das für MEC_03 und andere Windplanungen in Schutzgebietsnähe bedeutet.





1. Was ist MEC_03 überhaupt?



Im Regionalplan Köln, Sachlicher Teilplan Erneuerbare Energien, ist MEC_03 als potenzielles Windenergiegebiet vorgesehen:


  • Lage: Kreis Euskirchen, Gemeinde Mechernich

  • Größe: ca. 60 ha

  • Nutzung: Ackerflächen mit Hecken, Baumreihen und kleinen Gehölzen

  • Straßen und Leitungen: Umgeben u. a. von K 25, K 10, L 169 und einer Hochspannungsleitung



Das Gebiet liegt nicht einfach irgendwo im Offenland, sondern in sensibler Lage:


  • nur etwa 1.080 m vom europäischen Vogelschutzgebiet DE-5304-402 „Nationalpark Eifel“ entfernt

  • im Umkreis des Gebietes kommen windenergieempfindliche Greifvögel wie Rotmilan, Schwarzmilan, Wespenbussard und Uhu vor, die zu den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebiets gehören



Für MEC_03 wurde bereits eine Natura-2000-Vorprüfung erstellt. Ergebnis:

Es können mögliche erhebliche Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets nicht einfach ausgeschlossen werden – deshalb sind weitergehende Prüfungen und Schutzmaßnahmen erforderlich.





2. Was will § 6 WindBG eigentlich?



§ 6 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes (WindBG) soll Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen „beschleunigen“. In ausgewiesenen Windenergiegebieten sieht die Norm – stark vereinfacht – vor:


  • keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach dem UVPG

  • keine klassische artenschutzrechtliche Prüfung nach § 44 Abs. 1 BNatSchG

  • stattdessen eine „modifizierte“ Artenschutzprüfung auf Basis vorhandener Daten, ggf. mit Abschaltungen oder einer Artenschutzabgabe



Die politische Botschaft: Wer in einem Windenergiegebiet baut, soll weniger bürokratische Hürden haben.


Aber: § 6 WindBG ist nur ein einfaches Bundesgesetz. Es steht unter dem Vorrang des Europarechts – insbesondere der FFH-Richtlinie (92/43/EWG) und der Vogelschutzrichtlinie (2009/147/EG) mit ihrer Pflicht zur Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung (Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, umgesetzt in § 34 BNatSchG).





3. Das BVerwG-Urteil vom 11.09.2025: Windräder außerhalb – Natura 2000 trotzdem innerhalb



Im entschiedenen Fall ging es um fünf Windenergieanlagen im Landkreis Göttingen:


  • etwa 1.300 m außerhalb eines Vogelschutzgebiets,

  • zusätzlich nahe einem FFH-Gebiet,

  • Genehmigung mit Auflagen (u. a. Abschaltungen zum Schutz des Rotmilans).



Das BVerwG hat die Genehmigung nicht aufgehoben, aber als rechtswidrig und nicht vollziehbar bestätigt. Der entscheidende Punkt:


Es fehlte eine Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung, obwohl nicht offensichtlich ausgeschlossen werden konnte, dass das Vogelschutzgebiet erheblich beeinträchtigt wird.


Wesentliche Kernaussagen des Urteils:


  1. Natura-2000-Schutz endet nicht automatisch an der Gebietsgrenze.


    Auch Anlagen außerhalb eines Vogelschutz- oder FFH-Gebiets können eine Verträglichkeitsprüfung erforderlich machen, wenn etwa Rotmilane oder andere Schutzarten aus dem Gebiet regelmäßig durch den Windparkbereich fliegen.

  2. Schon wenige Rotmilan-Verluste können erheblich sein.


    Aufgrund der geringen Reproduktionsrate dieser Art können bereits wenige Kollisionsopfer den Erhaltungszustand der Population im Schutzgebiet verschlechtern.

  3. Beschleunigungsregeln (EU-Notfall-VO, § 6 WindBG) helfen nicht, wenn Natura-2000-Recht verletzt werden könnte.


    Die Genehmigungserleichterungen treten zurück, sobald erhebliche Beeinträchtigungen eines Schutzgebiets nicht sicher ausgeschlossen werden können.



Mit anderen Worten: Wo ernsthafte Risiken für ein europäisches Schutzgebiet bestehen, gibt es keinen „Freifahrtschein“ durch § 6 WindBG.



4. Parallelen zu MEC_03: Nationalpark Eifel statt Niedersachsen



Wenn man die Eckpunkte des BVerwG-Falls mit MEC_03 vergleicht, springen die Gemeinsamkeiten förmlich ins Auge:


Abstand zum Vogelschutzgebiet


  • Göttingen-Fall: Windräder ca. 1.300 m vom Vogelschutzgebiet entfernt

  • MEC_03: Gebiet ca. 1.080 m vom Vogelschutzgebiet DE-5304-402 „Nationalpark Eifel“ entfernt



Relevante Arten


  • Im BVerwG-Fall: Rotmilan als besonders sensibler Greifvogel

  • In MEC_03: Im angrenzenden Vogelschutzgebiet sind unter anderem folgende windenergieempfindliche Erhaltungsziel-Arten relevant:


    • Rotmilan

    • Schwarzmilan

    • Wespenbussard

    • Uhu




Diese Arten nutzen zur Nahrungssuche regelmäßig Flächen außerhalb des Schutzgebiets – genau jene Räume, in denen die Rotoren von Windenergieanlagen stehen sollen. Sowohl der Umweltbericht als auch der Natura-2000-Anhang des Regionalplans Köln weisen ausdrücklich darauf hin, dass im Wirkbereich von MEC_03 mögliche Beeinträchtigungen dieser Arten zu prüfen sind.


Ergebnis der planerischen Prüfungen


  • Für MEC_03 wurde eine Natura-2000-Vorprüfung durchgeführt.

  • Die Unterlagen kommen zum Ergebnis, dass mögliche erhebliche Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets nicht einfach ausgeschlossen werden können und entsprechende Minderungsmaßnahmen (Abschaltungen, Bauzeitenbeschränkungen, Konfiguration der Anlagen) notwendig würden.



Damit liegt genau die Situation vor, die das Bundesverwaltungsgericht beschreibt:

Ein Windpark außerhalb eines Vogelschutzgebiets, aber im Flugkorridor und Einzugsbereich streng geschützter Arten, die für den Erhaltungszustand des Gebiets maßgeblich sind.





5. Konsequenz: § 6 WindBG schützt MEC_03 nicht vor Natura-2000-Prüfung



Aus alledem folgt:


  1. § 6 WindBG kann die Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung nicht „wegzaubern“.


    Europarecht (Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, § 34 BNatSchG) hat Vorrang. Wo ein Vogelschutzgebiet durch ein Vorhaben auch nur möglicherweise erheblich beeinträchtigt wird, ist eine Verträglichkeitsprüfung zwingend.

  2. MEC_03 ist kein „risikoarmes“ Gebiet.


    Die Nähe zum Nationalpark Eifel und die dort vorkommenden Greifvögel machen MEC_03 naturschutzfachlich sensibel. Das ist in den eigenen Planungsunterlagen der Bezirksregierung Köln dokumentiert – einschließlich Hinweisen auf Rotmilan, Schwarzmilan, Wespenbussard und Uhu.

  3. Behörden und Projektierer können sich nicht ernsthaft auf § 6 WindBG zurückziehen, um Prüfungen zu vermeiden.


    Spätestens seit dem BVerwG-Urteil ist klar: Fehlt eine sorgfältige Natura-2000-Prüfung, droht das gleiche Schicksal wie im Göttinger Fall – eine rechtswidrige und nicht vollziehbare Genehmigung, die in einem ergänzenden Verfahren „nachgebessert“ werden muss.






6. Was bedeutet das für Bürgerinitiativen wie Gegenwind Glehn?



Für lokale Initiativen ergeben sich aus dem Urteil und den MEC_03-Unterlagen wichtige Ansatzpunkte:


  • In Stellungnahmen, Einwendungen und ggf. Klagen kann gezielt darauf hingewiesen werden,


    • dass MEC_03 im Einflussbereich eines Vogelschutzgebiets mit windenergieempfindlichen Arten liegt,

    • dass die eigenen Planungsunterlagen bereits auf artenschutzrechtliche Risiken und Natura-2000-Belange hinweisen,

    • und dass nach der Rechtsprechung eine vollwertige Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung zwingend ist.


  • Wird im späteren Genehmigungsverfahren lediglich auf § 6 WindBG verwiesen, ohne die konkreten Auswirkungen auf Rotmilan, Uhu, Schwarzmilan und Wespenbussard ernsthaft zu prüfen, ist das ein klarer Rechtsangriffspunkt.

  • Das Urteil zeigt auch:


    Selbst wenn Windenergie politisch gewollt ist, bleiben die Schutzgebiete und ihre Arten nicht schutzlos. Wo der Rotmilan nur einige zusätzliche Verluste pro Jahr nicht verkraftet, darf man die Risiken durch Windparks nicht „schönrechnen“.




MEC_03 ist kein unproblematischer „Restacker“ für ein paar zusätzliche Windräder, sondern ein Standort im Schatten des Nationalparks Eifel und im Lebensraum streng geschützter Greifvögel.


Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seinem Urteil vom 11. September 2025 deutlich gemacht:

Beschleunigungsgesetze wie das WindBG haben ihre Grenzen dort, wo europäisches Naturschutzrecht und der Erhalt bedrohter Arten auf dem Spiel stehen.


Für Glehn heißt das: Windplanung muss sich an Recht und Natur orientieren – nicht umgekehrt.

 
 
 

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